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philosophie
Der Ewigkeitsbrunnen - Ort des individuellen- und kollektiven Erinnerns
Gesellschaften, Gemeinschaften nicht nur Individuen beziehen sich selektiv auf Vergangenes.
Hierdurch versichern sie sich ihres Zusammenhaltes bzw. das Individuum seines Selbstbildes. Es lassen sich zwar keineswegs die Weisen gemeinschaftlichen Erinnerns mit dem Memorieren eines Individuums gleichsetzen und die Erinnerungsleistung der Gesellschaft ist auch nicht die Summe der Einzelerinnerungen, dennoch bestehen hier Wechselwirkungen. Eine Erosion im Erinnerungsvermögen des Individuums zieht eine Erosion im kollektiven Gedächtnis nach sich.
Die individuelle Gedächtnisleistung ist an konkrete, lebende Generationen als ihre Träger gebunden. Die Erinnerungen und Lebenserfahrungen der lebenden Gesellschaft werden in der informellen, mündlichen Alltagskommunikation vermittelt und verhandelt. Allerdings reicht dieses kommunikative Gedächtnis jeweils höchstens drei Generationen zurück und wortwörtlich stirbt es mit ihnen aus. Dieses Gedächtnis geht, wenn es nicht fixiert wird, verloren, wenn nicht Erinnerungsanreize in Bild, Wort oder Denkmal geschaffen werden.
An diesem Punkt greift das Konzept des Erinnerungsbrunnens ein.
In unserer heutigen Zeit sind wir uns der Bedeutung der Vergangenheit nicht mehr bewusst, wir leben fast nur für die Zukunft, alles ist darauf ausgerichtet, Profit für das "Morgen" anzuhäufen. Für die Gegenwart und noch viel mehr für die Beschäftigung mit der Vergangenheit bleibt so kaum noch Zeit. Elementare Kenntnisse auch in Bezug auf die Bestattungskultur gehen verloren. Hinzu kommt die Angst, mit der eigenen Vergänglichkeit umzugehen, die letzten Endes in der Verdrängung der Themen Tod und Trauer mündet. Dies führt zu einem Identitätsverlust, der auf lange Sicht einen Kulturverlust zur Folge hat.
Wir sind nichts ohne unsere Erinnerung, ohne unsere Geschichte. Erst daraus resultiert unsere Identität. Erinnern bedeutet, das Vergangene präsent werden zu lassen. Hier kommt dem Ewigkeitsbrunnen als Ausdruck zeitgemäßer Erinnerungskultur eine ganz wesentliche Rolle zu.
Oft existieren völlig unrealistische Vorstellungen darüber, in welchem Zeitraum der Verlust eines Menschen zu verarbeiten ist. Mit dem Verschwinden der Trauerkleidung, die über eine langen Zeitraum getragen wurde, scheint im allgemeinen Bewusstsein auch das Trauerjahr verloren gegangen zu sein. Schon gar nicht ist es gesellschaftlich erlaubt, viele Jahre den Verlust eines Menschen zu beklagen. Seit die Trauer um einen Verstorbenen nicht mehr wie früher von einer größeren Gemeinschaft getragen wird, seit sie nur noch Familienangelegenheit ist - und sich immer mehr zur Single-Angelegenheit entwickelt -, wird sie ins Verborgene abgedrängt. Man trauert nicht mehr öffentlich, sondern versteckt sich hinter der Wohnungstür. Man kontrolliert seine Gefühle und seine Gesichtszüge. Damit werden Trauerrituale unterbunden, die in ihrer Symbolhaftigkeit immerhin zum traditionellen Brauchtum gehörten. Das öffentliche Zeigen von Trauer und Schmerz hat seine rituelle Kraft eingebüßt, ist peinlich geworden. Zunehmend gilt Trauer als eine Krankheit und nicht mehr als natürlicher Prozess, der Menschen hilft, sich in einer überaus schwierigen Lebenssituation zurechtzufinden. Diese Privatisierung des Todes und der Trauer hat nicht nur zur Folge, dass der Trauernde sich isoliert vorfindet, sondern symbolisiert ebenso den Verlust eines Sinnhorizontes und den Verlust mitmenschlicher Kommunikation. In einer Welt, in der der Tod einzelner Menschen aus gesellschaftlicher Sicht kaum ins Gewicht fällt, in der jeder Mensch ersetzbar scheint und nur als funktionaler Teilaspekt eines überwältigenden Ganzen auftritt, wird die Ausbildung gemeinsamer symbolisch-sinnhafter Trauerrituale verhindert: Sie verweist den Menschen auf sich selbst.
Hierdurch wird die Trauer immens erschwert, wenn nicht gar verhindert. Die erfolgreiche, gesunde Bewältigung von Tod und Trauer ist dort am größten, wo trostspendendes, kommunikatives und sinnstiftendes Verstehen vorhanden ist. Es wird selten bedacht, das ein Todesfall immer einen Wendepunkt darstellt.
Auf dem Friedhof bietet das Konzept des Ewigkeitsbrunnens eine Trostinsel.
Als Kommunikationsort stärkt er das Gefühl des kollektiven Trauerns und des Eingebunden-Seins in eine Solidargemeinschaft. Abschiednehmen muss hier keine Privatsache sein.
Mit dem Ewigkeitsbrunnen bietet sich die Möglichkeit, sich mit einer neuen Abschiedskultur einer sich breitmachenden Entsorgungsmentalität entgegen zu stellen, die ihre Toten ehrt und wertschätzt. Die Bestattung der Asche eines Verstorbenen im Ewigkeitsbrunnen stellt die Bedeutungsneutralität des Einzelnen in Frage, denn sie fixiert die Bezugnahme auf Vergangenes über einen sehr langen Zeitraum und gibt den Verstorbenen die Würde, die ihnen gebührt.
Literatur zum Thema
Sabine Bode, Fritz Roth: der Trauer eine Heimat gebenBergisch-Gladbach,1998
Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999
Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992
Erwägen, Wissen, Ethik 13 (2002/2) [zahlreiche Beiträge zur Assmannschen Erinnerungstheorie]
Nora , Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990
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